Nachdem ich jetzt ja schon 3 Monate in Arusha bin, glaube ich doch einen gewissen Eindruck von der Kultur und dem alltäglichen Leben hier gewonnen zu haben. Und mit diesem Eintrag will ich Euch gerne daran teilhaben lassen 🙂
ZEIT:
Ich fange vielleicht mal mit dem Thema Zeit an. Hier muss ich sagen, hab ich’s mir eigentlich schlimmer vorgestellt. Man hat zwar immer einen gewissen Grad an Verspätungen, aber es hält sich eigentlich in Grenzen. Erst recht, wenn man es nicht so eng sieht. Manchmal kann es allerdings auch etwas nervig sein, wenn man z.B. weil es langsam kalt wird eine Strumpfhose sucht, in den Shop am Eck geht und die Dame einem versichert morgen besorgt sie eine. Und sich das ganze dann mit Vertröstungen auf morgen über 1,5 Wochen hinzieht und am Ende doch keine Strumpfhose dabei rumkommt… Aber wie sagt man hier so schön: hamna shida – macht nix…
NAMEN:
Als nächstes widme ich mich den Namen. Mittlerweile hab ich gelernt, dass der Nachname des Kindes dem Vornamen des Vaters entspricht. So gibt es in der Daycare z.B. ein Baby, das George Michael heißt 😉
In der Preschool hatten wir eine Stunde, in der die Kiddies „my name is“ und „my father’s name is“ schreiben mussten. Ja, jetzt hab ich da zwei Schüler, die Kinder der Mädels im Center sind und keinen Vater haben. Da wusste ich dann nicht, was wir in die Lücke schreiben sollen… Aber der Junge hat mir ausgeholfen und gesagt: „und hier muss der Name von meinem Opa rein, richtig?“ – Situation gerettet.
Außerdem gibt es hier ganz wundersame Namen, mein persönlicher Favorit ist „Lunchbox“ und ich muss mich jedes Mal so zusammenreißen, dass ich mir nicht einen ablache, wenn ich den Namen sag.
Mütter z.B. verlieren mit der Geburt ihres Erstgeborenen quasi ihren Namen. So nennt man Pendo dann nicht mehr Pendo sondern „Mama Junior“. Meine Mama würde also „Mama Kerstin“ heißen J
Und ansonsten ist oft die Berufsbezeichnung mit im Namen drin z.B. Mama Mpishi (Mama Köchin), die Frau, die für die Mädels das essen kocht, wenn sie im Unterricht sind.
So gibt es dann auch den Fundi Rasta, das ist ein Handwerker mit Rastas, ich glaub seinen richtigen Namen kennen nur sehr wenige 😉
KRIMINALITÄT, POLIZEI und BESTECHUNG
Klar ist’s hier etwas gefährlicher überfallen zu werden als in Deutschland. (aber wo auf der Welt außer vielleicht in Skandinavien und der Schweiz ist das nicht der Fall…)
Es gibt hier in Arusha halt ein paar Regeln, an die man sich halten sollte, wie z.B. nicht alleine Nachts rumzulaufen (leider fängt Nachts schon um 19h an, weil’s hier ab 19h stockduster ist) und ein paar gefährliche Ecken meiden. Meine Freundin Paola ist aus Versehen in so eine Gegend gezogen und hat sich noch über die günstige Miete gefreut. Ihr ist dann Handy und Geld auf dem Weg in die Stadt geklaut worden. Aber man hat ihr keinen Schaden zugefügt.
Ich selbst hab jetzt auch meine erste Diebstahlerfahrung gemacht. Ist eigentlich eher was Lustiges: Also, ich bin mit Sydney und ihren Freunden nach Moshi gefahren zu einem kleinen Konzert von Bekannten. Da sagt sie noch: Pass auf, in Moshi klauen sie so viel. Also hab ich meine Tasche immer fest am Mann (also der Frau) gehabt, damit ja nix passiert. Ich hatte aber auch eine Tüte mit Übernachtungssachen dabei und da war ein kleines Täschchen mit Zahnbürste, Zahnpasta und Make Up drin (@ Julia und Nina: das schöne Anokhi Täschchen). Die Tasche hab ich im Restaurant auf den Sitz hinter mir gestellt, wohlwissend, dass ja nix wertvolles drin ist (@ Simi: Du weißt, dass das keine gute Idee ist, und was in Düsseldorf passiert, passiert auch in Moshi). Als wir also gehen wollen, merke ich, dass mein Kulturbeutelchen fehlt. Was mich erst zwar sehr geärgert hat, aber als ich mir dann vorgestellt hab, wie enttäuscht und sauer der Dieb beim Öffnen gewesen sein muss, hat’s mich wieder gefreut.
Eine kleine Anekdote von Sydney passt auch ganz gut in diesen Abschnitt: Sie war im Bus unterwegs und auf der Strecke begegnet ihnen ein Gefangenentransport. Der hat dann angehalten und ein paar der Gefangenen mit Handschellen in den Bus gesetzt. Die saßen dann genau hinter Sydney, was ihre Fahrt nicht mehr ganz so entspannt gemacht hat.
Bei mir im Center ist’s ja eh sicher, wir haben eine Mauer drum herum und 24h Security am Gate. Bei einem anderen Volunteer Haus in der Stadt, das keine Mauer hat, ist neulich scheinbar eingebrochen worden, da ist jemand am Haus hochgeklettert und hat Laptops und Handys aus den Zimmern geklaut. Allerdings bin ich hier sehr besorgt um den Dieb, ich hab nämlich gehört, dass vor 1 Jahr schon mal jemand die Volunteers dort beklaut hat und die Security Guys haben ihm kurzerhand die Finger abgeschnitten, bevor die Polizei kam und ihn dann ins Auto geworfen. Im Gefängnis ist er dann verblutet.
Einer der Volunteers hat mir gesagt, dass der Besitzer gesagt hat, dass er eh weiß, wer’s diesmal war und zwar ein 16 jähriger Junge aus der Nachbarschaft, als er gefragt hat, wie er das denn wissen kann, war die Antwort: er konnte schon immer gut klettern. Der Volunteer ist nicht mehr da und ich hab keinen Kontakt mehr zum Haus, aber ich hoffe, dass es dem Nachbarsjungen gut geht.
Selbstjustiz ist hier glaub eh ziemlich regulär and der Tagesordnung.
Neulich haben wir am Abend im Taxi Sydney abgeholt, als auf einmal ein Mann mit Machete über die Straße rennt und dann noch 2 hinterher und auf einmal ein riesen Geschrei ist. Wir haben dann erstmal schön die Knöpfchen am Auto runtergedrückt und der Taxifahrer hat eine Frau gefragt, was los ist und sie hat uns erklärt, dass sie einen Dieb auf frischer Tat erwischt haben und ihn jetzt verfolgen…
Ja und neben Selbstjustiz ist eines der typischsten Dinge hier im Land die Bestechung.
So stoppt die Polizei quasi täglich Autos und fragt nach Bestechungsgeld. Schon von weitem winken sie einem zu. Führen symbolisch die Hand zum Mund, nach dem Motto: ich bin hungrig und muss mir was zu essen kaufen. – Dafür brauche ich Geld – Dein Geld…
Auch was die Gerichte angeht gibt es scheinbar die ein oder anderen Bestechungen. So hat mir Mama Siara erzählt, dass es ihnen nicht gelungen ist, den Verantwortlichen, dass eines der Mädchen, die jetzt bei uns wohnt mit 9 Jahren zwangsverheiratet wurde zu verurteilen, weil zu viele Bestechungsgelder bezahlt wurden.
Wir sind gerade wieder an einem Fall dran, und hier sieht es schon recht gut aus. Nur spitzt sich die Lage und auch die Sicherheitssituation etwas zu. Der Gerichtsfall von einem weiteren Mädchen, das mit 10 Jahren verheiratet und verkauft wurde ist gerade einen großen Schritt weitergekommen. Nun hat das Socialworker Büro angerufen und gesagt, dass Verwandte von dem Mädchen bei ihnen sind und sie sehen wollen. Mama Siara hat das kategorisch abgeblockt, aber trotzdem das Mädchen gefragt, und sie hat dann gemeint sie will niemanden sehen und sie hat keine Verwandten mehr.
Wir sind uns sicher, dass sie das Mädchen einlullen oder Druck auf sie ausüben wollten, den Fall fallenzulassen. Ich hoffe, dass sie ihr nicht mal in die Schule folgen oder so. Das Mädchen war letzte Weihnachten mal in der Stadt und der Mann, der sie verkauft hat, hat sie gesehen und wollte ihnen folgen, daraufhin sind die Mädels sofort in den Bus gesprungen und zurück ins Center gefahren. Ich glaube seitdem geht sie gar nicht mehr in die Stadt…
KIRCHE, GLAUBE UND EXORZISMUS
So, nun zu einem ganz anderen Thema, das ich in meinem letzten Eintrag schon mal angeschnitten hatte: Exorzismus.
Neulich war ich also mittendrin statt nur dabei. Folgendes hat sich zugetragen: Ich war mit den Mädels beim Fußballspielen. Auf einmal kippt eine um und liegt reglos am Boden. Dann kommt sie wieder zu sich und schreit und krümmt sich vor Schmerzen im Bauch. – So, was tun…
Ich hab erstmal Mama Siara angerufen, sie hat gesagt, wir sollen sie zuerst zurück ins Center bringen, dann schauen wir, ob sie ins Krankenhaus muss oder was. Ich bin also zur Straße vorgerannt, um ein Taxi zu organisieren. Die Mädels haben sie hinterhergetragen.
Glaubt Ihr da wäre ein Taxi gewesen? Weit und breit keins. Ich hab versucht ein Auto zu stoppen, hat aber auch keiner angehalten. Endlich kam ein Daladala (Minibus) vorbei, da hab ich sie dann reingelegt mit 3 Mädels und sie sind ins Center gefahren. Ich bin schnell mit den anderen Mädels hinterher.
Als ich im Center ankam hab ich Mama Siara mit ihrer Tochter auf der Veranda gesehen, aber weit und breit kein Mädchen. Ich hab also gefragt, wo sie ist. Die Antwort war: im Klassenzimmer, der Priester ist da. Da hab ich dann schon mal erst gedacht ich fall vom Glauben ab. Sie ist dann mit mir hingegangen und hat gesagt: „Natürlich, du verstehst das nicht, du kommst aus Europa und Du kennst ihre Geschichte nicht.“. Dann wurde mir erklärt, dass sie kürzlich vom Islam zum Christentum übergewechselt ist und jetzt innere Kämpfe aussteht und dass das nicht das erste Mal ist.
Im Klassenzimmer angekommen finde ich sie also auf dem Boden liegend vor und Ihren Kopf auf dem Schoß eines anderen Mädels. Und er Priester kniend vor den beiden mit einem fetten Kreuz um den Hals, die Hände auf die Köpfe der Mädels gelegt und sowas sagend wie: „ beim Namen von Jesus, verlasse den Körper.“ Und drumherum alle Mädels, die singen, weinen und den Spruch nachsagen, immer und immer wieder. Ja und zwischendrin ich… die nur ungläubig dasteht und sagt: sie muss ins Krankenhaus.
Das war bisher die Situation in der den kulturellen Unterschied am allermeisten gespürt hab und mich echt hilflos gefühlt hab. Zum Glück hat Mama Siara dann nach ein paar Minuten beschlossen, dass sie doch ins Krankenhaus sollte. Sie haben sie also hingebracht und am nächsten Tag war sie auch wieder da und putzmunter. Hatte wohl nur üble Krämpfe oder so. Aber als sie da am Boden lag, hab ich mir echt gedacht, wenn sie jetzt stirbt, dann mache ich mir mein Leben lang Vorwürfe, weil ich nicht durchgegriffen habe, andererseits ist man dort Gast und kann sich ja nicht einfach widersetzen… War wirklich ein großer Zwiespalt. Aber ist ja zum Glück gut ausgegangen.
Ja und die Kinder spielen dann auch ab und zu Exorzismus. – Irgendwie schon wieder süß, wenn die kleinen Priester und „Patient“ spielen 😉
SONSTIGES:
Und hier zum Abschluss noch eine kleine Ansammlung von kleinen Dingen, die mir aufgefallen sind, und die es bei uns so auch nicht gibt…
So wird hier z.B. mit der Machete Rasen gemäht. Das erinnert an Deutschland ein paar Jahrzehnte zurück mit der Sense.
Es wird hier auch mit einem Kohlebügeleisen gebügelt. Was wirklich toll ist, bei der Dichte von Stromausfällen, die wir hier haben.
Und ein zustimmendes „Ja“ ist hier ein „äää“ über drei Tonlagen, wobei ich immer aufpassen muss, dass ich nicht spontan „aha“ oder „mhm“ sage, weil das hier einem „nein“ näher kommt und ich dann manchmal fragend angeschaut werde, bis ich ein „äää“ mit Nachdruck hinterherschiebe.
Ansonsten gibt es verschiedene kleine Rituale abhängig von der Stammeszugehörigkeit: So knien die Mädels von einem Stamm aus dem Süden immer nieder, wenn sie für was um Erlaubnis bitten.
Oder Babys begrüßen einen, in dem sie einem die Hand auf den Kopf legen – ziemlich süße Angelegenheit.
Was ganz nettes, das ich neulich gesehen hab war eine Vogelscheuche, die einen Wasserkanister auf dem Kopf balanciert hat. Eben ein typisches Abbild einer afrikanischen Frau 🙂 Die Mädels wollten mir auch schon beibringen, wie man Wasserflaschen auf dem Kopf transportiert, aber entweder ich bin komplett talentfrei oder es liegt an der Kopfform oder den glatten Haaren 😉 Auf jeden Fall krieg ich’s nicht hin.
Apropos Haare und Frisuren von Frauen, das ist hier super interessant: Im Grunde gibt es 5 Varianten:
- Abrasiert – und sie haben so hübsche Gesichter, dass es echt schön aussieht
- Zu kurzen Zöpfen geflochten (an der Kopfhaut entlang) – nur mit eigenem Haar
- Zu Zöpfen geflochten mit schwarzer Wolle, die quasi als Extensions dient
- Zu Zöpfen geflochten mit Kunsthaar – und hier gibt’s die unglaublichsten Frisuren und Nester auf dem Kopf (@ Silvi: wird bestimmt super interessant für Dich als Friseurin)
- Perücken. – Die Perücken sind meistens für besondere Anlässe.
Was noch ganz witzig ist, ist die Präsentation von Kleidern. Von Natur aus sind die Tansanischen Frauen um die Hüften bzw den Hintern etwas kräftiger gebaut, was dazu führt, dass in ALLEN Läden die Kleider durch Drahtgestelle präsentiert werden, die in der Hüfte ausgebeult sind (Bild folgt, das hat sich geweigert, sich hochladen zu lassen).
Ansonsten ist mir aufgefallen, dass Stofftaschentücher hier noch voll im Rennen sind und wirklich jeder sein Stofftaschentuch dabei hat. Alternativ schneuzt man sich einfach in den Kanga(=Rock)zipfel.
Und in der Pre-School spitzen die Kids ihre Bleistifte u.a. auch mit Rasierklingen. Da bin ich beim ersten Mal ganz schön verwundert gewesen, als bei den Buntstiften und Radiergummis eine Rasierklinge dabeilag.
So, das war’s mal wieder von mir.
Hier zum Abschied noch ein persönliches Highlight: Als ich neulich mit (meinem neuen Lieblingstransportmittel) dem Motorrad-Taxi gefahren bin, haben die anderen Fahrer meinem Fahrer zugerufen: „Hey, fährst heut nen Mzungu“ und er hat zurückgesagt, dass ich kein Mzungu bin und mir anschließend erklärt, dass ich ja Suaheli spreche und damit meinen Mzungu Status überschritten hätte 😉 Fand ich toll. Und gestern hat mich eine Frau gefragt, wie viele Jahre ich schon in Tansania lebe, weil ich so gut spreche. – Das gibt Auftrieb, weiterzumachen…
So, jetzt aber wirklich Schluss.
Bis zum nächsten Mal, dann mit ganz vielen Tierfotos, Kilimanjaro-Bildern und weißen Sandstränden. Am Montag kommt nämlich Arnd zu besuch und dann gibt’s Tourismus vom Feinsten.
Macht’s gut
LG
Steffi